Unter diesem Titel erschien jüngst eine vielschichtige Arbeit, herausgegeben von Ulrike Muss, als 27. Band der Sonderschriften des Österreichischen Archäologischen Instituts: In ihm bemühen sich Forscher vieler Disziplinen den religionsgeschichtlichen und kulturhistorischen Hintergrund eines der berühmtesten Heiligtümer der Antiken Welt, dem Artemision von Ephesos zu beleuchten. In doppeltem Sinne wird sowohl die Welt als auch die Bilderwelt der Artemis von Ephesos deutlich: Der Kosmos ist nicht nur Universum und Weltordnung, er ist auch eine Welt voller Ideen und Zeichen. Eine Welt der Formen und Symbole, deren Faszination sich auch die Künstlerin Gül Erali nicht entziehen konnte und die nun mit den hier vorgestellten Tonplastiken ihren ganz persönlichen Blick in diesen Kosmos öffnet.
Von den ersten Philosophen waren die meisten der Meinung, die Prinzipien stofflicher Art seien die einzigen Prinzipien aller Dinge – denn das, woraus jedwedes Seiende ursprünglich besteht, das woraus es als erstem besteht und worin es als letztem untergeht, ist ein Element und das ist ein Prinzip des Seienden: Das Wesen der Dinge besteht fort und nur die Eigenschaften wechseln. Aus diesem Grunde sind sie auch der Ansicht, dass es kein Werden und kein Vergehen schlechthin gebe, da eine derartige Natur ja stets erhalten bleibe ... – es muß nämlich eine natürliche Substanz geben, entweder eine oder auch mehrere, woraus die Dinge werden und zum Sein kommen, während sie selbst – die Natur – erhalten bleibt. Über Menge und Art des so beschaffenen Prinzips gibt es dann unterschiedliche Auffassungen. Spätestens mit Empedokles werden dann die Elemente dieses Prinzips – Wasser, Himmel, Erde und Feuer – definiert.
Die Artemis von Ephesos, die uns in kleinasiatisch-griechischer Gestalt bekannt ist, steht am Anfang dieses Kosmos – die Ursprünge ihres Kultes, die Begreiflichkeit ihrer Erscheinung ist bereits in den viel älteren anatolischen Hochkulturen zu finden und ihree Wesensheit ist untrennbar mit dem Erscheinungsbild der großen anatolischen Muttergottheiten und der allmächtigen phrygischen Kybele verbunden. Es sind in erster Linie diese prähistorischen Erscheinungsformen, die ihr Bild von Gül Erali prägen: die stoffliche Umsetzung von Kraft und Stärke, Geborgenheit und Ruhe, Allgewalt und Milde – ein Kosmos an Eigenschaften, wie er dieser Göttin innewohnt. Die unheilsabwehrende Kraft dämonischer Gebärde, das schützende Element des geschlossenen Kreises, der Drang des Werdens und das darin innewohnende Geheimnis seines Vergehens. Es ist ein sehr interessanter Versuch der türkischen Künstlerin, diesen archaischen Vorstellungen auf die Spur zu kommen: Indem Sie sich dieses uralten Formenschatzes bedient und ihn zu neuer Wesenheit belebt, gelingt es ihr, ein sehr eindringliches Bild jener Dinge zu vermitteln, die die Menschheit seit Jahrtausenden bewegt: Die Frage nach dem Ursprung der Dinge, nach dem Prinzip der Natur, nach dem Sinn des Lebens.
Dr.Ulrike Outschar
Directorin des Österreichischen Kulturforums - Istanbul